Hätte Goethe getwittert?

Hätte Goethe getwittert?

Heute Morgen bin ich über ein interessantes Interview mit dem Verleger Reinhard Matern gestolpert, das schon allein in sprachlicher Hinsicht lesenswert ist.

Abgesehen von den Beschreibungen, wie Matern erste Bücher im Selbstdruck in Umlauf brachte, die mir allzu bekannt vorkamen, möchte ich hier versuchen auf ein paar Punkte näher einzugehen. So sagt Martens zum Beispiel:

Belletristik und Philosophie lassen sich nicht durch Billigangebote, Gewinnspiele und allerhand Dönekes bekannter machen noch leichter verkaufen. Wer auf solche Social-Techniken anspricht, hat an den relevanten Produkten kaum Interesse. Derzeit sind leider überwiegend die eBook- als auch Social-Techniken im Gespräch – und das Urheberrecht. Um Literatur geht es kaum jemanden, auch in den Feuilletons nicht. Gesellschaftlich und im Hinblick auf Innovationen ist die Literatur fast tot.

Auf den ersten Blick wirkt es wie Kulturpessimismus, aber es ist vielleicht hilfreich für einen Moment innezuhalten, die Notifications abzuschalten und nachzuhaken.

Hier befinden sich gleich mehrere bemerkenswerte Ansätze. Die Faszination im Internetzeitalter mit dem Drumherum (Technik, Präsentation, Recht) anstatt dem Innendrin (die Inhalte an sich) ist ein wichtiger Punkt, den ich schon mehrfach hier angeschnitten habe. Über den Mangel einer zentralen Plattform für Literatur habe ich bereits hier geschrieben.

Es bleibt jedoch die spannende Frage:

Lässt sich anspruchsvolle Literatur wirklich nicht durch Social Media besser bewerben und vermarkten?

Bei Konsumgütern und Artefakten der Bespaßungsgesellschaft (Filme, Vampirromane, Videospiele, Turnschuhe, etc.), scheint es eine klare Sache. Facebook-Seiten für Fernsehserien, Turnschuhe und post-apokalyptische YA Buch-Trilogien florieren.

Warum sollte es also nicht auch für “ernsthafte” Literatur, sowohl im Belletristik- als auch geisteswissenschaftlichen Bereich funktionieren?

Unterschwellig schwingt bei solchen Fragen immer das Niveau mit, die Annahme, dass geschriebene Werke, die zu intellektuell, zu schwierig sind, schlichtweg keinen größeren Anklang finden, weil den meisten Menschen just dieses “Niveau” fehlt. Dies ist jedoch ein Fehlschluss, der sich häufig auf nichts anderem gründet als auf dem Kokettieren mit der eigenen Belesenheit.

Sicher, der Markt ist kleiner. Die Menschen, die sich für Goethe, Kant & Co im O-Ton interessieren, entwickeln dieses Interesse auch nicht durch das Klicken auf einen Like-Button. Aber vielleicht besteht gerade darin eine Aufgabe des Verlegens, nicht nur gebündelte Worte zu verkaufen (“geschnitten oder am Stück”), sondern maßgeblich dazu beizutragen, eine gewisse literarische Bewusstheit in der Gesellschaft voranzutragen.

Dieser “Lehrauftrag” kann auf verschiedenste Art und Weise stattfinden. Regelmäßig erscheinende frei verfügbare Artikel auf einem Blog zum Beispiel können zugleich bildend und werbend sein. Der technische Ansatz ist (wie fast immer) nicht das Problem, doch was tun wenn die Besucher ausbleiben? Wie schon bereits angedeutet macht man es sich zu leicht, wenn man den Durchschnittsleser als “dumm” abstempelt.

Wer im Netz punkten will, muss Mittel und Wege finden, Menschen anzusprechen. Humorvolle Status-Meldungen und mehr visuelle Nachrichten sind immer ein guter Ansatz. Und wenn wir über die Sprache selbst sprechen, auch die kann und muss sich natürlich verändern, wenn man mehr Menschen erreichen will. Man kann nicht einfach einen akademischen Text copy-pasten und erwarten, dass er virale Wirkung entfacht.

Es spricht aber zum Beispiel nichts dagegen, einerseits Bücher auf hohem Niveau zu verlegen, andererseits aber  leicht lesbare Blogposts und Statusmeldungen zu produzieren, die gewisse Denkarten und Thematiken auch weniger routinierten Lesern nahebringen. Kurzum, es findet ein Annäherungsvorgang statt, wie bei jeder Lehrtätigkeit, man geht aufeinander zu und lernt voneinander.