Das Leben in Israel hat mancherlei Besonderheiten — unter anderem die eifrige Bereitschaft der Menschen, mit Rat und Tat in allen Lebenslagen beizustehen, wobei es vollkommen nebensächlich ist, ob diese Unterstützung explizit erwünscht wird oder nicht.
Wenn eine israelische Schwiegermutter ihrem Schwiegersohn mitteilt, wie viele Kinder sie durch seine Ehe erwarte und wann diese zu “liefern” seien, so lässt sich dies durchaus noch als domestische Fürsorgnis erklären. Schwieriger wird es jedoch, wenn es sich bei den Ratgebern um wildfremde Menschen handelt, die einen bei der Bitte nach “drei Tomaten” forsch ansehen und fragen: “Warum nicht Gurken?”
Vor wenigen Wochen beschlich meine Frau und mich der Gedanke, dass unsere alte Matratze ausgedient hatte und dringlich einer neuen bedurfte. In Deutschland oder Amerika sucht man in diesem Falle ein beliebiges Matratzenfachgeschäft auf, ärgert sich über die hohen Preise, wählt dann eine Matratze aus, bezahlt und betrachtet die Sache als erledigt. Und so ähnlich stellte ich mir das auch in Israel vor.
Wir machten uns also auf die Suche nach einem Matratzenfachgeschäft, und glücklicherweise fanden wir eins in unmittelbarer Nähe unseres Wohnortes. Durch vorherige Absprache in unserer Preisvorstellung und erwünschtem Härtegrad gefestigt, betraten wir den kleinen Laden und fanden bereits nach wenigen Minuten eine gewünschte Schlafunterlage, die zwar nicht ganz billig war, aber dennoch all unseren Wünschen entsprach.
Der Matratzenfachverkäufer, ein Mann mitteleuropäischer Herkunft mit Brille, weißem Kittel und einer kleinen Kippa, der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung, begrüßte uns freundlich und beantwortete alle unsere Fragen in fachmännischer Art und Weise.
Kurz gesagt, wir freuten uns über den schlichten und direkten Service. Als wir jedoch vor einem kleinen Schreibtisch Platz nahmen, um uns dem Bezahlungsvorgang zu widmen und einen Liefertermin zu vereinbaren, blickte der Mann auf, rückte seine Brille zurecht und betrachtete uns sorgfältig. Dann fragte er uns nach unserem Namen und Addresse für den Lieferschein, und wir antworteten. “Klein”, sagte er und musterte uns abermals. “Ihr solltet in Kiryat Rabbi* wohnen”, sagte er. (Bei Kiryat Rabbi handelt sich um eine gemäßigte aber dennoch ziemlich religöse Wohngegend, die zum Beispiel am wöchentlichen Sabbat ihre Straßen abriegelt, damit kein Kraftwagen die von Gott verordnete Ruhe stört.)
“Wir sind eigentlich sehr zufrieden mit unserem momentanen Wohnort”, teilte ich dem Matratzenverkäufer mit. Er erwiderte jedoch nur: “Wir haben noch keinen Klein in Kiryat Rabbi. Sucht ihr eine Haus oder eine Wohung?”
Bevor ich antworten konnte, dass wir weder das eine noch das andere suchten, fuhr er fort: “Eure Wohngegend ist nicht so gut. Kiryat Rabbi ist viel besser für Leute wie euch. Ihr solltet auf der Shapiro Straße wohnen, die ist für euereins erschwinglich.”
Bereits leicht irritiert durch die Anmaßungen des Matratzenverkäufers, so frei über unseren Wohnort und angeblichen finanziellen Spielraum zu spekulieren, sagte ich nur: “Nein danke, uns gefällt es sehr gut in der Nähe des Strandes.”
“Von Kiryat Rabbi ist es nicht weit zum Strand. Meine Frau und ich wir spazieren öfters dorthin”, sagte der Matratzenverkäufer. “Nicht wahr, Liebste?”, rief er seiner Frau zu, die im Hinterzimmer Regale einräumte.
Nicht gewillt mich auf weitere Argumentationen einzulassen, nickte ich bloß und sagte: “Gewiss, gewiss”, um die Transaktion zu beschleunigen und uns weitere Ratschläge und Bevormundung unserer Lebensweise zu ersparen.
Aber so ist es in Israel. Man betritt einen Laden mit dem simplen Gedanken des Matratzenkaufs und verlässt ihn mit einem Immobilienangebot und einer Einschätzung seines persönlichen Kreditrahmens.
Um diese Spezialität der Israelis weiter zu illustrieren, möchte ich eine zweite kurze Episode anführen.
Meine Frau und ich aßen in einem kleinen Imbiss, in dem jemenitische Juden klassische mittelöstliche Speisen wie Falafel und Schwawarma anbieten. Wie es hier üblich ist, bekommt man einen kleinen Teller, um sich an einem großzügigen Salat-Büffet zu bedienen. Nachdem wir unsere Mahlzeit verspeist hatten, nahm meine Frau unsere Salatteller und überreichte sie höflich dem Imbissbudenbesitzer, welcher schroff bemerkte: “Man merkt, dass du nicht von hier bist!”
Es gilt hier zu bemerken, dass die Familie meiner Frau zu den wirklich wenigen Familien gehört, welche bereits seit geraumer Zeit im Lande ansässig sind und nicht erst — wie der Großteil der israelischen Bevölkerung — im Zuge zionistischer Immigration das Land besiedelten. Wir wissen bis heute nicht, was es war, welches den Jemeniten zu der Ansicht verleitete, dass es sich bei meiner Frau um eine Neuankömmlingin handelte, aber wir vermuten, dass ihre Höflichkeit die Schuld trug.
Ein weiteres Verhaltensmerkmal, mit dem man sich verdächtig macht, ist neben der Höflichkeit die Zurückhaltung. So geschah es vor wenigen Tagen, dass ich in einer Apotheke stand und eine Nummer für die Warteschlange ziehen wollte — die Menschen in Israel hassen das Warten, aber sie lieben paradoxerweise das Nummernziehen.
Ich drückte also auf den Knopf, um eine Nummer zu ziehen. Nichts passierte. Meine Frau, die neben mir stand, drückte auf einen zweiten Knopf, der auf dem kleinen Gerät angebracht war. Nichts passierte. Da drängte sich von hinten eine Frau hindurch und drückte den ersten Knopf, dann den zweiten, dann mit der flachen Hand beide Knöpfe zusammen, dann beide Knöpfe abwechselnd, bis das Gerät auf seinem Ständer unstet hin und her wackelte. Noch während ihre lackierten Fingernägel das Gerät maltraitierten und ein Apotheker ihr zurief, dass das Gerät nicht funktioniere, blickte sie uns neugierig an und sagte: “Seid ihr Olim Chadaschim (Neuankömmlinge)?”
Meine Frau und ich wechselten einen Blick und sagten: “Gewiss, gewiss.”
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*Namen geändert