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m Zuge der Vorbereitungen des jährlichen Passa-Fests in Israel kann man leicht das Gefühl bekommen, die Gesellschaft bereite sich auf den nuklearen Kahlschlag vor. Die Schlangen in den Supermärkten reichen bis auf den Parkplatz, bis zum Bersten vollgestopfte Einkaufswägen schieben sich durch die Gänge und kollidieren im Nadelöhr der Kassenbänder, begleitet von Flüchen und Kindergeschrei.
In der Theorie ist das Passa-Fest (auf Hebräisch Pessach) ein Gedenken an den Auszug des biblischen Israels aus Ägypten, die Flucht aus der Sklaverei, der Anbeginn des langen Weges ins Gelobte Land.
In der Praxis hier bedeutet das Passa-Fest jedoch vor allem eines: Stress. Je nach individueller Muße und Familientradition beginnen die Vorbereitungen schon mehrere Wochen vorher. Die Wohnungen werden geputzt und geschrubbt, äußerlich ein ganz gewöhnlicher Frühjahrsputz, mit der Ausnahme der allmählichen Zuspitzung bis auf den Punkt, dass sich am Tage vor dem Passa-Fest kein einziger Krümel Chometz (prinzipiell alle Nahrungsmittel, welche eine der fünf Getreidearten Weizen, Hafer, Roggen, Gerste und Dinkel enthalten) im Haus befinden darf.
Und so fliegt alles aus dem Haus: das Bier, das Mehl, der Whiskey, die Nudeln, etc., oder man macht es so wie die israelischen Supermärkte und deckt während der sieben Tage das sündhafte Zeug einfach mit einer Plastikplane ab, frei nach der Überzeugung: aus den Augen, aus dem Sinn.
Wer sich die Tradition jedoch mehr zu Herzen nimmt, der packt den ganzen Kram in ein paar Müllsäcke und geht es irgendwo rituell entsorgen. In meinem ersten Jahr in Israel zum Beispiel war ich beunruhigt durch die vielen kleinen Feuer, die vor dem Passa-Fest plötzlich in der Nachbarschaft loderten. Ich machte meine Frau darauf aufmerksam — denn wenn man im Nahen Osten Feuer sieht, so lehren uns Medien und Schulbildung, ist Vorsicht geboten.
Tatsächlich handelt es sich bei diesen Feuern aber nicht um die Gestaltwerdung der so oft beschworenen schwelenden Konfliktherde, sondern schlicht und ergreifend um eine private Form der Müllverbrennung mit traditionellem Anstrich.
Und hat man dann endlich alle Krümel beseitigt, die Regale gewischt oder gleich in der Dusche professionell abgespritzt und alles Chometz verbrannt, beziehungsweise den Whiskey eben so gut versteckt, dass selbst Gottes Röntgenblick ihn nicht findet, ist man bereit für die Feiertage.
Für Außenstehende stellt sich da leicht die Frage, wie man da überhaupt noch in Feierstimmung kommen kann, ohne Brot, ohne Bier, ohne Nudeln, ohne alles, was irgendwie Getreide oder auch nur Getreidespuren enthalten könnte.
Die Antwort findet sich in in dem oben erwöhnten Ansturm auf die Supermärkte. Denn für die Feiertage führen die Lebensmittel- und Getränkekonzerne eigene Produkte und ganze Produktsortimente neu ein. Neben dem traditionellen Matza-Brot, das an Pessach verkauft wird, gibt es so auch spezielle Kekse, Nudeln, Mehl und sogar Bier mit dem Aufdruck: “koscher für Pessach”. (Es ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel, wie Bier ohne Getreide funktionieren soll, aber eine vom Rabbinat autorisierte Brauerei in New York hat das Rätsel angeblich gelöst.)
Kurzum, man will sich über die Feiertage nicht lumpen lassen. Die Verwandten sind eingeladen und fliegen selbst aus Übersee in Scharen ein, um an vollgedeckten Tischen im Heiligen Land des mythischen Auszugs zu gedenken. Es besteht also großer Bedarf an Bergen von Gemüse, Nüssen, Fleisch, Fisch und sonstigen Pessach-koscheren Ersatzlösungen.
Nach ein paar Tagen gehen jedoch gehen selbst den einfallsreichsten Hausfrauen und Hobbychefs irgendwann die Ideen aus, und je mehr man sich dem Ende der Feiertage nähert, desto mehr macht sich Trägheit breit, und das ganze Land zieht aus aus den Wohnungen und ratzekahlen Küchen — nicht ins Heilige Land, denn da ist man ja schon, zumindest theoretisch — sondern in die Wälder und an die Strände mit tonnenweise Grillgut und koscher Coca-Cola.
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