Gestern stolperte ich über einen Artikel, der unverhohlen die Leiden des modernen, digital vernetzten Wesen schilderte. Der Text trug die Überschrift: “10 Arten, wie das Internet uns krank macht und eine Lösung” und beinhaltete das Übliche:
Wer sein Smartphone für zwei Minuten auf die Seite lege, bekomme einen Cold Turkey, dies sei wissenschaftlich erwiesen; das ewige Netzwerken mache uns asozial, die Bildschirme schädigten die Augen; das digitale Dasein ließe uns blind werden für das “echte” Leben, das Googeln verkruste die Hirnhaut, das Chatten zerstöre das Sprachzentrum — die alte Leier eben.
Das beste an dem Artikel war, dass die “Lösung” des Problems diesmal nicht etwa in einem jener trendigen “Digital-Detox” Seminare oder einem “Digitalen Sabbat” bestand, sondern die Lösung für die alles vernichtende Sucht nach sozialen Netzwerken wie folgt zu kurieren sei: mit einem neuen sozialen Netzwerk für digital Abhängige, die sich physisch treffen wollen oder sollen.
Dieses neue soziale Netzwerk, das sich übrigens “At the Pool” nennt, ist weder besonders anders als andere Netzwerke, noch sieht es anders aus. Streams heißen Pools, anstatt Likes gibt es Spritzer (Splashes). Das Ganze wird dann gestreckt mit einer Art “Matching”, d.h. einer aus Dating-Seiten bekannten Methode, wo persönliche Profile basierend auf heillos überbewerteten Algorithmen miteinander verbunden werden. Dieses automatisierte “Einander vorstellen” fußt auf einem Fragenkatalog gefüllt mit Sätzen wie: “Why are you so awesome?”, um den man als neuer Nutzer nicht herumkommt und der so seltsam, wirkt, wie wenn man die Gründer des Netzwerks dabei sieht, wie sie eifrig Stati posten und zu atemberaubenden nicht-digitalen Aktivitäten in Los Angeles einladen wie “make friendship bracelets”.
Aber ich will mich nicht in Details verstricken. Wie der aufmerksame Leser schon festgestellt haben wird, habe ich mich dazu hinreißen lassen, dieses soziale Netzwerk auszuprobieren. Unter dem Strich ist vor allem eins dabei herausgekommen: verschwendete Zeit. Wie hätte es auch anders sein können bei einem sozialen Netzwerk, das sich als das Ende aller sozialen Netzwerke begreift?
Es ist beachtenswert, wie schnell und eifrig die latente Besorgnis um unser digitales Leben bereits an allen Ecken und Enden eingetütet und vermarktet wird. Ob es sich um Seminare handelt, die Tausende von Dollar kosten und versprechen, die Fesseln unserer digitalen Abhängigkeit zu sprengen, oder Bücher mit Titeln wie ‘Warum googeln dumm macht” — hier ist ein großer Markt, den “Entrepreneurs” aller Couleur möglichst schnell versuchen in Geld umzuwandeln.
Und die Idee dahinter ist so genial, wie sie alt und mangelhaft ist: nämlich dass alles, was wir an uns selbst und unserem eigenen Verhalten verabscheuen, seine Wurzeln in gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen hat … haben muss!
Ist der Teufel erst einmal an die Wand gemalt, lassen sich prima Nagellack-Entferner und Dienste zur Wandbereinigung verkaufen. Und mal ehrlich, selbst wenn man einen Haufen Geld bezahlt, so ist das doch immer noch einfacher, befriedigender, beruhigender, als einen Blick hinter die Kulisse zu werfen.
Denn ist erst einmal attestiert, das die Schuld an unserer eigenen körperlichen Unbeweglichkeit, kreativen Flaute und sozialem Missmut nicht an irgendeiner Online-Software liegt, sondern vielleicht eher in das Feld persönlicher Verantwortung fällt, müsste etwas getan werden, womöglich von uns selbst. Und das ist dann doch oft zu viel. Da füllen wir lieber Fragebögen aus, feintunen unsere Profile mit Minibildern, Coverbildern, Lieblingsbands und literarischen Klassikern, die wir in Wirklichkeit nie gelesen haben, weil wir einfach zu viel Zeit im Internet verbringen.
Ist doch logisch, oder?