Als ich das erste Mal mit jungen Jahren Bilder von Jerusalem im Fernsehen sah, war ich überrascht. Da waren Straßen zu sehen, asphaltiert wie in Deutschland, und die Menschen trugen Jeans und Tshirts. Ich hörte Sirenen, sah brennende Autos und Frauen mit schmerzverzerrten Gesichtern. Jerusalem, das war für mich ein Wort, das ich nur aus alten Geschichten kannte, beinahe ein ebenso fiktiver Ort wie Lummerland oder Titiwu. Und irgendwie passte das Bild, das ich im Fernsehen sah so gar nicht zusammen mit diesen Geschichten von Wüste, Kamelen und Geburten in Pferdeställen. Es war, als ob das echte Jerusalem unwirklicher war als das meiner kindlichen Vorstellungskraft.
Knapp drei Jahrzehnte später finde ich mich in Israel wieder und die Operation “Pillar Defense” beginnt. Raketen aus Gaza fliegen seit Jahrzehnten auf den Süden des Landes und das israelische Militär schlägt zurück. Mit Fakten und Historie rund um die Entstehung des Staates Israels bin ich nun vertraut, das Land habe ich in weiten Teilen bereist, lebe seit zwei Jahren dort, habe jedoch noch keine heiße Phase des Konflikts erlebt. Und es ist seltsam. Plötzlich breitet sich eine parallele Realität über der gewohnten aus. Die Menschen hängen an ihren Radios und Fernsehern, oder wie ich an ihren Twitter Feeds und live Blogs. Auf den Straßen fehlt die gewöhnliche Aktivität. Die Menschen sind vorsichtig. Es liegt eine Art Nebel in der Luft, jeder verfolgt die Angriffe der hunderten Raketen täglich, die auf Jerusalem, Tel Aviv und die südlichen Städte niederprasseln und die Lage spitzt sich immer weiter zu.
Im direkten Raketen Radius von Gaza befinde ich mich zum Glück nicht, aber Libanon und Syrien sind nur wenige Kilometer entfernt, und die radikal islamische Hisbollah hat bekanntlich Tausende Raketen auf Israel gerichtet und wartet nur auf den richtigen Augenblick.
Eine knappe Woche vergeht in dieser parallelen Realität, das Zeitgefühl ist anders, man misst die Tage und Stunden in Stufen der Eskalation. Ich sehe den Außenkorrespondenten des ARDs zu wie die Bartstoppeln wachsen und die Augenringe dunkler werden. Einen Großteil meines Tages verbringe ich zuhause in der Nähe des Schutzraums. Und dann sehen wir die Bilder von einem Bus, der in Tel Aviv explodiert ist, die Scheiben sind eingeschlagen, ein Dutzend Menschen schweben in Lebensgefahr. Die Täter der Hamas bekennen sich jubelnd und verteilen Süßigkeiten auf den Straßen Gazas.
Es scheint, als wäre der Zeitpunkt gekommen, in dem die oft zitierte “Spirale der Gewalt” nun ihre volle Schwungkraft entfaltet. Tausende von Soldaten stehen mit Panzern bereit und warten auf den Marschbefehl. Und dann kommt das Signal zum Waffenstillstand. Die Situation implodiert gewissermaßen, die Blase platzt, und alles scheint plötzlich anders.
Die Parallelwelt weicht nach und nach dem gewohnten Alltag und es scheint, als wären die vergangenen Tage nichts als ein skurriler Traum. Was bleibt ist ein seltsamer Nachgeschmack von Szenen der Zerstörung, sich widersprechenden Berichten, Propaganda und Gegenpropaganda. Und auch wenn jeder genau weiß, dass mit dem Ende der Schlacht noch längst nicht das Ende des Kriegs erreicht ist, so zieht sich die Parallelwelt vorerst zurück in ihren Kokon und wir atmen auf.